Wer Marcel Prousts „À la recherche du temps perdu“ gelesen hat, wird ein lebendiges Bild des Salonlebens im Paris Ende des 19ten Jahrhunderts vor Augen haben. Großbürgerliche Mäzene geben der Musik einen Raum. Als gesellschaftlicher Treffpunkt spielt die Musik – anders als im Konzert – nicht immer die wichtigste Rolle. Nicht umsonst entwickelte sich Salonmusik als eigenes, teils zu unrecht gering geschätztes Genre. Und dennoch darf die Bedeutung für die Entwicklung der Musik keineswegs unterschätzt werden. Trotz des unterhaltenden und gesellschaftlichen Charakters konnte hier auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Musik, ihren Trends und Akteuren erfolgen. Tempi passati.
Christoph Schreier hat wenig mit der von Proust beschriebenen Madame de Villeparisi gemein. Der von ihm gegründete und geleitete Piano Salon Christophori in Berlin führt die Tradition des Musiksalons, oder besser gesagt seine besten Seiten ins 21. Jahrhundert. In einer ehemaligen Werkstatthalle der BVG restauriert er nicht nur historische Flügel, sondern veranstaltet auch Konzerte.
Als Soloabende oder in kleiner Besetzung erfolgen hier von Jazz über Klassik bis zur zeitgenössischen Musik Darbietungen auf hohem Niveau in entspannter und niederschwelliger Atmosphäre.
Hinter der schweren Eisentüre des Eingangs und einem wahrscheinlich ebenso schweren als Windfang dienendem Vorhang betritt man eine andere Welt. Der freundliche Mann, der einem die im Internet reservierten Karten an der Kasse überreicht, ist der Hausherr selbst. Er gibt einen kurzen Hinweis, wo die zugewiesenen Plätze zu finden sind, gleich gefolgt von der Empfehlung sich am Kühlschrank bei den Getränken selbst zu bedienen. Diese sind nämlich im Eintrittspreis enthalten. Der Impresario wird später auch sympathisch mit kurzen, amüsanten Worten selbst durchs Programm führen.
Die riesige Halle ist vom Charme der Patina des Industriegebäudes geprägt. Typisch Berlin könnte hier ebenso gut eine Hipster-Bar oder ein Technoclub untergebracht sein. Unzählige Korpusse restaurierter oder noch zu restaurierender Flügel stehen dicht an dicht die Wand entlang. Alle möglichen Bestandteile von Flügeln finden sich im Raum, teils dekorativ präsentiert. Vor der leicht erhöhten Bühne reihen sich einfache, aber bequeme Stühle und ein paar Sessel. 199 Personen finden hier Platz. Die Wände des Bühnen- und Zuschauerraums zieren großformatige Fotos von Künstlern, Gemälde und Drucke. Trotz der offensichtlich ungedämmten Decke und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt schaffen es die alten Radiatoren den Saal ausreichend zu temperieren.
Nicht nur die üblichen „Silberrücken“ finden sich im erfreulich gemischten Publikum; der Anteil junger Menschen ist weit größer als in anderen Sälen, wenn Kammermusikalisches oder Solorezitale auf dem Programm stehen. So leger auch die Atmosphäre vor dem Konzert und in der Pause sein mag, so groß ist doch die Konzentration des Publikums beim Vortrag – kein Geraschel mit Bonbonpapieren, kein nervtötendes Gehüstle zwischen den Sätzen, kein deplatzierter Applaus. Hier kommen offensichtlich Menschen der Musik, die sie lieben, wegen zusammen.
Abseits der international bekannten Berliner Philharmonie, der Staatsoper Unter den Linden etc. ist der Piano Salon Christophori eine sonst selten zu findende Perle.
Adresse: BVG Hauptwerkstätten (Uferhallen Gelände), Uferstraße 8 – 11, 13357 Berlin
Informationen: https://www.konzertfluegel.com