Wer eine Reise nach Lissabon unternimmt, wird wohl dies selten der klassischen Musik wegen tun. Doch sollte man die Stadt diesbezüglich nicht unterschätzen. Drei professionelle klassische Orchester haben dort ihr Zuhause: das Lisbon Metropolitan Orchestra mit seinem Stammsitz im Centro Cultural de Belém, das 1962 gegründete Orquestra Gulbenkian und das Orquestra Sinfonica Portuguesa (OSP). Letzteres ist das Hausorchester des Teatro Nacional de São Carlos, der Oper Lissabons. Es ist jedoch nicht nur als Opernorchester, sondern auch als symphonisches Orchster regelmäßig aktiv, sowohl im Centro Cultural de Belém, als auch im Teatro Nacional de São Carlos.
Das Teatro Nacional de São Carlos ist eines der ältesten klassizistischen Gebäude in Lissabon. Als Ersatz für das beim Erdbeben zerstörte alte Opernhaus wurde es 1793 eröffnet. Bis heute versprüht der Innenraum den Charme alter, kleiner klassischer Opernhäuser. Oberhalb des Parketts erheben sich seitlich in Hochparterre über vier weitere Stockwerke die kleinen Logen und Balkone. Reich verzierte Wände und die klassische Farbgestaltung in Gold, Beige und Grün lassen einen schnell an frühere Zeiten denken. So allerdings auch die dick gepolsterten Klappstühle, bei denen die sich durchdrückenden Sprungfedern daran erinnern, dass wohl schon viele Menschen schon viele Jahre hierauf gesessen haben.
Es ist immer wieder überraschend, wie sich die scheinbar immergleichen Rituale bei Opernaufführungen und klassischen Konzerten doch von Ort zu Ort und Land zu Land unterscheiden. Hier ein Erfahungsbericht:
Etwa eine halbe Stunde vor Beginn der besuchten Veranstaltung wurde Einlass gewährt. Freundliche Platzanweiser waren schnell zur Stelle und behilflich. Während ich mich noch staunend der Saaldekoration zuwandt, spielten sich die ersten Orchestermusiker auf der Bühne bereits ein. Nach und nach wurden es mehr und mehr, bis auch der letzte Musiker eingetroffen war. Während im Orchestergraben im Bayreuther Festspielhaus einst eine Tafel hing, die die Musiker gemahnte nicht zu präludieren, fetzten hier die unterschiedlichsten Melodiefragmente und Einspielübungen über die Bühne. Die nervtötende Kakophonie ließ Schlimmes befürchten, geübt wird ja doch wohl hoffentlich zuhause und bei den Proben. Im Publikum, weitgehend sportlich, gelegentlich leger gekleidet, mischten sich Touristen und Einheimische. Mit größerer Disziplin stellte sich schön in Reihen einziehend der Chor auf. Während anderenorts die Chormitglieder mit einem Applaus begrüßt worden wären, blieb hier das Gemurmel der weiterhin zuströmenden Zuschauer unverändert. Mit dem üblichen Stimmen der Instrumente wurde es ruhiger. Erst die Solisten und der Dirigent des Abends wurden mit herzlichem Applaus empfangen, während noch die letzten Zuhörer Einlass fanden. Doch was für eine Überraschung als die Musik, die Messa da Requiem von Giuseppe Verdi, unter der präzisen Leitung des Kapellmeisters Antonio Pirolli langsam und leise einsetzte. Die Skepsis wich dem Staunen über großartig gespielte Musik. In präziser Diktion setzte nach wenigen Takten der Chor (Coro do Teatro Nacional de São Carlos) ein. Spätestens als die Solisten (Roberta Mantegna, Sopran, Cátia Moreso, Mezzosopran, Luciano Ganci, Tenor und Rubén Amoretti, Bass) in den Gesang einstimmten, war klar: Dies sollte ein großartiger Abend werden! Besonders der warme, weiche Sopran von Roberta Mantegna wird mir in Erinnerung bleiben. Mühelos vermag sie ihre Stimme über das Fortissimo von Chor und Orchester zu setzen, zart schmelzendes Pianissimo entrücken in eine andere Welt. Wann habe ich zuletzt einen Tenor solch toller italienischer Stimmprägung wie von Luciano Ganci gehört? Auch die stimmliche und darstellerische Leistung von Cátia Moreso wird mir in Erinnerung bleiben. Eine tolle Leistung bot auch der Bass Rubén Amorettis, lebendig und abwechselungsreich seine Stimmgestaltung. Großer, verdienter Applaus und Jubel am Ende des Abends für alle Beteiligten!