Heinrich Dorn und Richard Wagner

„Man sieht sich immer zweimal im Leben“, so heißt eine häufig verwendete Redensart.

Das erste Mal begegneten sich die beiden Komponisten in Leipzig im Hause des Verlegers Friedrich Brockhaus (der Sohn des Verlagsgründers Friedrich Arnold Brockhaus). Heinrich Dorn war mehr als 8 Jahre älter als Richard Wagner und bei der ersten Begegnung als Musikdirektors am kurfürstlichen Hoftheater bereits eine feste Größe im Musikleben Leipzigs. Unter Dorns Leitung erfolgte die erste öffentliche Aufführung einer Wagnerschen Komposition, die Konzertouvertüre B-Dur (WWV 10, „Paukenschlag-Ouvertüre“) [2 (S. 2), 3]. Wagner war selbst überrascht, dass Dorn sich bereit erklärt hatte, das Werk am Heiligabend 1930 ins Programm zu nehmen [3]. Beide Musiker berichten in ihren Autobiographien davon, dass Dorn das Werk vehement gegen die Bedenken der Musiker verteidigte. Es gelang Dorn dennoch vorerst nicht, die Theaterdirektion zu weiteren Aufführungen von Werken Wagners zu bewegen. In seinem Leipziger Abschiedsjahr (1832) wurde unter Dorns Leitung Wagners „Ouvertüre zu Raupachs Drama König Enzio“ uraufgeführt. Wie Wagner in seinen Memoiren schreibt, wurde sie im Programm nicht angekündigt; erst nachdem das Publikum Gefallen signalisiert hatte, fand das Werk bei den folgenden Abenden auf dem Programmzettel Platz [3].

1837 übernahm Wagner mit Hilfe Dorns die Stelle des Musikdirektors am Rigaer Stadttheater [1]. Für kurze Zeit hatte auch Dorn diese Funktion bekleidet, bevor er zum Musikdirektor an der Petrikirche in Riga berufen wurde. Es war die Freundschaft aus Leipziger Tagen, die Wagners Start in der seltsamen Ferne erträglich machte. Auch die Frauen der beiden Musiker verstanden sich wohl sehr gut. Mit großem Interesse konnte in diesen privaten Kreisen Dorn den Beginn der Entstehung von Wagners Oper „Rienzi“ verfolgen. Gemeinsam wurden Passagen hieraus auf dem Klavier gespielt, während Wagners Lebensgefährtin Minna Planer (seine spätere erste Ehefrau) und befreunde Musiker Gesangspartien übernahmen [2, S. 2 ff].

Die Brüderschaft, die Dorn und Wagner Ende der 1830er Jahre in Riga schlossen, sollte jedoch nicht von Dauer sein. Wagner beschuldigt Dorn, ihn von seinem Posten des Musikdirektors vertrieben zu haben [3]. Die Darstellung Dorns ist jedoch eine gänzlich andere. Aufgrund des öffentlichen Drucks wegen der von Wagner angehäuften Schulden und einem anstehenden gerichtlichen Mahnverfahren habe sich, so beschreibt es Dorn, der neue Theaterdirektor entschieden, Wagner zu feuern [2 (S. 4 – 5)]. Dorn übernahm die Stelle Wagners, um mit den ersten zwei Gehältern die Schulden Wagners zu übernehmen, damit dieser Riga ungefährdet verlassen konnte. Der schlechte Ruf Wagners und seine drohende Verhaftung dürften dazu geführt haben, dass er schlicht unhaltbar fürs Theater geworden war. Auch der Umstand, dass das Engagement Wagners für das Theater keineswegs von Enthusiasmus geprägt war – die Routine überließ er gerne seinem stellvertretenden Musikdirektor Franz Löbmann [3] – dürfte die Trennung für das Theater leicht gemacht haben. Zieht man ferner in Betracht, dass Wagner zeitlebens eine ausgeprägt egozentrische Weltsicht hatte und die Ursachen jedweder Unbill nicht bei sich, sondern andern suchte, erscheint die Version Dorns glaubhafter. Der Bruch sollte endgültig sein. Auch die musikalische Entwicklung erfolgte in unterschiedliche Richtungen.

Ein weiteres und wohl letztes persönliches Treffen der beiden Komponisten erfolgte anlässlich der Premiere von „Tristan und Isolde“ in München. Dorn beschreibt die Szenerie des Besuchs im Hause Wagner sehr anschaulich [2 (S. 5 ff)]. Wagner empfängt seinen alten Weggefährten zwar freundlich, dennoch bleibt die Szenerie unterkühlt. Während Wagner am Klavier seinen Gästen, hierunter auch Cosima von Bülow, die überarbeitete Venusberg-Szene des Tannhäuser vorspielte, wartete Dorn geduldig. Sobald das Klavierspiel beendet war, begrüßten sich die beiden Weggefährten. Wiewohl Dorn Wagner zur Begrüßung freundschaftlich umarmen mochte, wich Wagner dem aus. Nicht ausweichen konnte er dem freundschaftlichen Du, auch wenn er es gerne vermieden hätte [3]. Dennoch versäumte Wagner nicht, lobend die Aufführung des Tannhäuser durch Dorn in Berlin zu erwähnen, von der er nur Gutes gehört habe. Dies ist insoweit bemerkenswert, als dass Wagner versucht hatte, Franz Liszt und nicht Heinrich Dorn die Aufführung der Oper in Berlin leiten zu lassen [4]. Irritiert nahm er zur Kenntnis, dass Dorn sich für eine neue Oper Meyerbeers auf dem Weg nach Paris machen wollte, zugleich als selbstverständlich hinnehmend, dass Dorn und viele andere für den Tristan nach München reisten. Nach nur einer halben Stunde war die Plauderei auch schon wieder vorbei. Wagner hatte ihm noch zwei Karten für die Generalprobe der ersten beiden Aufzüge von „Tristan und Isolde“ ausgestellt.

Mit „Tristan und Isolde“ geht Dorn in seinen Memoiren hart zu Gericht. Anlässlich der Berliner Erstaufführung bekräftigt er diese übrigens Jahre später nochmals in einem Artikel für die Berliner Bürger-Zeitung, der sogar zusätzlich als Sonderdruck verlegt wurde [6].

Die Einleitung zum dritten Aufzug wird von Dorn gar als „höhere Katzenmusik“ bezeichnet. Auch sonst lässt er kaum ein gutes Haar an Wagners Meisterwerk; Lob wird sogleich mit deutlichem Tadel verbunden. Über den ersten Aufzug schreibt er zwar, dass ihn „[e]inzelne Momente packen“ und der „Schluss des ersten Aktes auf jeden, der die vorgehenden Scenen aufmerksam mitangehört hat, überwältigend wirken muss“, fügt aber sogleich an „Aber es ist – wie so oft in Wagner’s Opern – der Grashalm in der Wüste, welcher den ermatteten Wanderer das dürftige grüne Plätzchen als reizend üppige Flur erscheinen lässt“ [2 (S. 18)]. Diese gewiss überzogene Kritik mag aus heutiger Sicht befremdlich sein, doch Wagner war trotz der besonders leidenschaftlichen Anhänger seinerzeit keineswegs unumstritten, und Dorn stand mit seiner Meinung nicht alleine. Hector Berlioz beispielsweise, der Wagner durchaus zugewandt war, äußerste sich durchaus kritisch, wenn auch nicht grundweg ablehnend zu „Tristan und Isolde“ (vgl. hierzu ausführlicher in [5]). Und auch heute machen viele Musikkenner um Wagner aus den von Dorn beschriebenen Gründen ein Bogen. Gedehnte Langeweile ist nach wie vor ein oft gehörter Kommentar zu Wagners Opern. Und dennoch ist Dorns Urteil nicht aus blinder Verachtung genährt, sondern wohlbegründet und die Stärken Wagners sehr deutlich anerkennend. Natürlich macht er sich über manche Stilblüte in Wagners Werk lustig: „So dank‘ ich Geringes Deinem Herrn, rieth Dir sein Dienst Unsitte gegen sein eigen Gemahl? Sitte lehrt, wo ich gelebt: zur Brautfahrt der Brautwerbe meide fern die Braut. Aus welcher Sorg‘? Fragt die Sitte. Da Du so sittsam, mein Herr Tristan, auch einer Sitte sei nun gemahnt. (Hier endlich blieb der Dichter sitzen – schade dass es nicht in derselben Weise ein Weilchen fortgeht. […])“ [2, S. 41] Dennoch resümiert er schließlich über Wagners Dichtkunst: „Und trotz alldem … welche dichterische Kraft ruht in diesem genialen Manne! welche erhabenden Gedanken fördert er mitunter zu Tage, und wie hat er die Sprache in seiner Gewalt! Ja ich möchte behaupten[,] dass einzelne Stellen seiner Operndichtungen, namentlich in der Tetralogie (Rheingold, Walküre, Siegfried, Götterdämmerung), sich dem Besten anreihen[,] was die deutsche Literatur aufzuweisen hat.“ [2 (S. 43)]

Den musikalischen Ideen Wagners stand Dorn mit Befremden gegenüber. Die unendliche Melodie, einer der Kerngedanken der späteren Wagner-Opern, mag ihn nicht fesseln. „[K]eine gefällige Phrase, keinen voraussichtlichen Abschnitt, keinen fasslichen Rhythmus, keine erleichternde Wiederholung“ [2 (S. 45)], so fasst Dorn die Wirkung zusammen. Unsingbar, ein wohl nicht ganz von der Hand zu weisendes Etikett, das er den Melodien gibt. Der Kern seiner Kritik liegt aber wohl darin, dass seiner Auffassung nach, die Melodieführung den Rollen nicht entspricht. Kein Seemann würde so singen, wie es Wagner im Tristan komponiert habe [2 (S. 48)]. Die gesamte Oper ist seiner Meinung nach voller harmonischer Ungeheuerlichkeiten. Ganz anders seine Meinung zu den Instrumentationskünsten Wagners: „Hierin ist Wagner ein Meister ersten Ranges“. Auch wenn die „Lungen der Sänger“ mit der starken Instrumentation kaum mithalten können, so nimmt er hier Wagner in Schutz. „Seine Instrumentierung ist überraschend und neu, immer charakteristisch, immer effektvoll“ [2 (S. 66)]. Seine Einschätzung zur Wirkung die Wagner auf die Musikgeschichte haben würde, fasste Dorn wie folgt zusammen: „Seine Opern können begeisterte Anhänger[,] aber keine glücklichen Nachahmer finden, sie können keine Schule begründen[,] weil sei auf unnatürlicher Basis beruhn […]“ [2 (S. 67)]. Man wird Dorn weitgehend widersprechen wollen: Die Art der Dichtkunst der Libretti, die Art der Verbindung von Text, Musik und Drama blieben zwar einmalig, einzigartig, doch viele seiner Ideen wurden von nachfolgenden Komponisten rege aufgegriffen und weiterentwickelt.

In beißend ironischen Worten gekleidet deutet er, dass Wagner sich mit der Schrift „Das Judenthum in der Musik“ schlicht über jüdische Größen wie Mendelssohn, Meyerbeer oder Offenbach in maßloser Eitelkeit erhöhen wollte [2 (S. 69)]. Eine Deutung, die auch mir nahe liegt. Zustimmen wird man Dorn auch, wenn er schließt: „Wagner von den Juden verfolgt – das ist der höhere Blödsinn; und vor ferneren Ausbrüchen desselben möge ein gültiges Geschick den reichbegabten Künstler bewahren!“ [2 (S. 69)]

Häufig ist über Dorn zu lesen, dass er ein erbitterter Feind Wagners gewesen sei. Dies erscheint mir jedoch eine nicht tragfähige Verkürzung des komplizierten Verhältnisses, das sicherlich durch egomanisches Verhalten beiderseits im Laufe der Zeit und durch spezifische Ereignisse zwar zerrüttet war, aber dennoch insbesondere von Dorns Seite mit großem Respekt vor der Leistung Richard Wagners geprägt war.

Referenzen

1) Leverett, Adelyn Peck. Liszt, Wagner and Heinrich Dorn’s Die Nibelungen. Cambridge Opera Journal 1990;2(2):121 – 144

2) Dorn, Heinrich. Eine musikalische Reise und zwei neue Opern. In: Aus meinem Leben 1. Berlin 1870

3) Wagner, Richard. Mein Leben. Erster Theil Online Version http://www.zeno.org/Literatur/M/Wagner,+Richard/Autobiographisches/Mein+Leben/Erster+Teil%3A+1813-1842 (zugegriffen: 20.11.2022)

4) Wagner, Richard. Mein Leben. Dritter Theil. Online Version http://www.zeno.org/Literatur/M/Wagner,+Richard/Autobiographisches/Mein+Leben/Dritter+Teil%3A+1850-1861 (zugegriffen: 20.11.2022)

5) Bloom, Peter. Berlioz und Wagner. Épisodes de la vie des artistes. Übersetzt von Hans R. Vaget. Archiv für Musikwissenschaft 2001;58(1):1 – 23

6) Dorn, Heinrich. Tristan und Isolde von R. Wagner (Erste Vorstellung in Berlin 20. März). Verlag der Berliner Bürger-Zeitung. Berlin 1876

Heinrich Dorn – Eine biographische Skizze

Heinrich Dorn (Portrait 2)
Heinrich Dorn, Portrait im mittleren Alter. Bearbeitetes Digitalisat der Österreichischen Nationalbibliothek. http://data.onb.ac.at/rec/baa3561316 (Zugriff 20.09.2022)

Heinrich Dorn? Selbst die meisten kulturbeflissenen Kölner werden bei diesem Namen nichtssagend mit den Schultern zucken, und dies, obwohl Heinrich Dorn eine wichtige Rolle für die Kulturentwicklung gespielt hat. Weitestgehend vergessen ist heute, dass er als Komponist, Dirigent und Musikkritiker das Musikleben im 19. Jahrhundert entscheidend mitprägte. Heute steht er im Schatten der Großen, die er unterrichtete und förderte.

Am 14. November 1804 wurde er in Königsberg (heute Kaliningrad) in eine musikalische Familie geboren. Seine Mutter war Klavierlehrerin, die nach dem frühen Tod ihres ersten Ehemanns Dorns Vater Johann Friedrich Dorn heiratete, der als Komponist, Musikkritiker und nicht zuletzt als Musikdirektor am Königsberger Theater wirkte [1]. Heinrich Dorns erste Oper „Die Rolandsknappen“ erfuhr ihre Erstaufführung 1826 in Berlin. 1828 trat er als Kapellmeister in Königsberg in die Fußstapfen seines Vaters. Ein Jahr später übernahm er die Position des Musikdirektors am kurfürstlichen Hoftheater in Leipzig [2]. Dort wurden auch seine Opern „Die Bettlerin“ und „Abu Kara“ uraufgeführt [3].

In Leipzig unterrichtete er keinen geringeren als Robert Schumann in Komposition. Mit ihm blieb er auch in den folgenden Jahren freundschaftlich verbunden. Auch Clara Wieck, die später Schumann ehelichte, wurde von Dorn unterrichtet. In Leipzig lernte er Richard Wagner kennen, dessen Talent er erkannte und den er förderte [4]. 1832 vertrat er für wenige Monate den Kapellmeister Krebs am Hamburger Theater. Noch im gleichen Jahr sollte er nach Riga weiterziehen, wo er zunächst als Kapellmeister am Theater und kurz darauf als Musikdirektor an der Petrikirche wirkte [3, 5]. Seine Stelle des Kapellmeisters am Theater übernahm seinerzeit Richard Wagner. Nach Wagners Flucht aus Riga wurde er dessen Nachfolger – zusätzlich zu seiner Funktion als Musikdirektor der Petrikirche.

1843 folgte er dem Ruf nach Köln als Kapellmeister des Gürzenich-Orchesters und des Theaters und als Leiter der Concert-Gesellschaft. Die Funktion im Theater wurde ihm jedoch schon nach einem Jahr gestrichen. Zu den großen Erfolgen darf die Leitung der Niederrheinischen Musikfeste in den Jahren 1844 bis 1847 gelten. In seine Zeit fiel auch die erste ungekürzte Aufführung der Missa solmenis Beethovens. Letztere erfolgte wohlgemerkt im Gürzenich und nicht, wie man es hätte erwarten können, im Hohen Dom zu Köln, wo er im Domorganisten Weber einen gewichtigen Widersacher hatte. Dem zum Trotz, so möchte man sagen, fand seine Festouvertüre zur Grundsteinlegung des Weiterbaus des Kölner Doms 1848 durchaus positiven Anklang. Sie wurde später als sein Opus 60 bei Schott veröffentlicht [6]. Obwohl er offensichtlich gegen erhebliche Widerstände in Köln ankämpfen musste, gelang es ihm 1845 bei der Stadt Köln eine Genehmigung für die Gründung und Leitung der Rheinischen Musikschule zu erhalten. Diese war zunächst eher als Musiklehrerseminar konzipiert, in das Schülerinnen und Schüler ab 15 Jahre aufgenommen wurden. Die andauernden Widerstände der etablierten Bürgerschaft in Köln waren wohl mit Ursache dafür, dass die Musikschule beinahe ausgetrocknet wäre (zuletzt nur drei Neuaufnahmen). Dennoch misslang den Gegnern Dorns ihn abwählen zu lassen. Mit 21 zu zwei Stimmen fiel der Abwahlantrag krachend durch [7]. Erst seinem Nachfolger in Köln Ferdinand Hiller gelang es, die Rheinische Musikschule auch im Sinne eines Konservatoriums erfolgreich weiterzuentwicklen.

Kaum verwunderlich, dass Dorn nur allzu gern sich nach dem Tode Otto Nicolais auf die Stelle des Hofcapellmeisters in Berlin als dessen Nachfolger bewarb. An der Königlichen Hofoper Berlin war die musikalische Leitung auf gleich drei Dirigenten aufgeteilt: Heinrich Dorn teilte sich mit Gottfried Wilhelm Taubert die Aufgabe symphonische Konzerte und Opern aufzuführen; einem dritten Dirigenten, Peter Hertel, oblag es, die Ballettaufführungen zu leiten [3]. In Dorns Berliner Zeit fällt die Komposition der beiden Opern „Ein Tag in Rußland“ und „Die Nibelungen“. Als Dirigent wurde er insbesondere von den Sängern geschätzt und genoss als solcher insgesamt einen hervorragenden Ruf [3]. Doch wurde er zunehmend von der Presse kritisiert, die ihm musikalischen Stillstand vorwarf. Seine späteren Opern und Operetten fanden beim Publikum kaum mehr Resonanz. Überraschend, ohne offizielle Kündigung und ohne dass die näheren Umstände publik gemacht wurden, wurden er und Taubert 1864 ihrer Ämter enthoben, wobei das Gehalt weitergezahlt wurde [3].

Fürderhin konzentrierte sich Dorn auf seine Tätigkeit als Kritiker und Schriftsteller. Seinen scharfzüngigen Kritiken, insbesondere für die Berliner Musikalische Zeitung, waren gleichermaßen geschätzt und gefürchtet.

Eine besondere Quelle für alle Musikinteressierten sind seine Memoiren, Erinnerungen und Aufsätze, die von 1870 an in insgesamt sieben Bänden („Aus meinem Leben“) erschienen sind. Sie bieten einen breit gefächerten und tiefen Eindruck in das Musikleben und dessen Entwicklung in Zeiten der Romantik. Doch auch seine Betrachtungen zur Musik an sich lohnen auch heute noch gelesen zu werden. Liest man beispielsweise seine Überlegungen zum Dirigieren, kommt einen der damals als altbacken empfundene Dirigent einen gleich modern und der heutigen Zeit gemäß vor. Wenn er sich darüber beklagt, dass einige seiner bis heute berühmten Dirigentenkollegen sich nicht davor scheuten, in Kompositionen, z. B. durch Änderungen der Orchestrierung einzugreifen, und er die Stellung des Dirigenten als Diener der Komposition und des Komponisten sieht, so scheint die heutige historisch informierte Aufführungspraxis gleichsam vorweggegriffen [8].

Heinrich Dorn starb am 10. Januar 1892 in Berlin [1].

Seine zahlreichen Kompositionen, darunter 10 0pern, einige Symphonien, religiöse Werke und eine große Zahl an Vokalwerken, insbesondere Lieder, sind heute vergessen. Nur eine seine Opern erfuhr 2004 eine kurze Wiederbelebung. Hiervon wird an anderer Stelle noch zu reden sein. In den offiziellen CD-Katalogen ist keines seiner Werke zu finden. Lediglich von seinem Lied „Das Mädchen an den Mond“ kann man sich Dank des „The Art Song Projects“ von Hélène Lindqvist und Philipp Vogler auf Youtube einen akustischen Eindruck verschaffen [9]. In seiner Zeit bereits unzeitgemäß geworden ist es nun an uns, ihn wiederzuentdecken. Seine Werke lohnen diese Mühe.

Referenzen

1) Kahl, Willi: Dorn, Heinrich. In: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 79 [Onlinefassung]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116182776.html (zugegriffen: 01.09.2022)

2) Dahlhaus, Carl; Eggebrecht, Hans Heinrich (Hrsg.): Brockhaus Riemann Musiklexikon. Erster Band (1978), S. 336

3) Eitner, Robert: Dorn, Heinrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (1904) [Onlinefassung]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116182776.html (zugegriffen: 01.09.2022)

4) Grohe, Helmut: Heinrich Dorn, ein „Kollege“ Richard Wagners. In: Neue Zeitschrift für Musik, Jg 106 (1939): S. 706ff

5) Fétis, François-Joseph: Biographie universelle des musicien et bibliographie générale de la musique (2e edition). Paris (1866) S. 47-48

6) Seib, Jasmin: Dorn (Familie) – (1) Heinrich (Ludwig Egmont). In: Axel Beer (Hrsg.) Musik und Musiker am Mittelrhein 2. URL: http://mmm2.mugemir.de/doku.php?id=dorn Last update: 2022/05/20 00:01 (zugegriffen: 01.09.2022)

7) Lindlahr, Heinrich: Historie der Rheinischen Musikschule. Teil 1 [Onlinefassung]; URL: http://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf4004/5.pdf

8) Dorn, Heinrich: Bedenklichkeiten. In: Aus meinem Leben. Sechste Folge: Streifzüge im Gebiete der Tonkunst. Berlin (1879) S. 56 ff

9) https://www.youtube.com/watch?v=mqfj9wGsa8k (zugegriffen: 01.10.2022)